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M.Sc.
Matthias Kalus
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52074 Aachen

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Veranlassung und Zielsetzung

Zur Analyse des komplexen Durchstanztragverhaltens wurde eine Vielzahl an Versuchen durchgeführt, die als Basis für verschiedene Durchstanzmodelle dienen [1,2,3]. Nahezu alle Versuche zum Durchstanzen wurden aufgrund der einfacheren Handhabung an isolierten Flachdeckenausschnitten (Bild1(b)) durchgeführt, die den Stützmomentenbereich der Decke-Stütze-Verbindung abbilden. Während sich an diesen Flachdeckenausschnitten die Haupteinflüsse auf die Durchstanztragfähigkeit systematisch untersuchen lassen, werden wesentliche Aspekte des tatsächlichen Tragverhaltens bei Flachdeckensystemen wie Umlagerungen von Stütz- und Feldmomenten (Bild1(a)) sowie Druckmembrantragwirkungen (Bild1(c)) nicht erfasst [4,5].
Die vorhandenen experimentellen Untersuchungen zum Durchstanzen an Flachdeckensystemen [4] belegen die positive Wirkung der Systemeinflüsse auf die Durchstanztragfähigkeit und Plattenverformung. Die Erweiterung der bestehenden Durchstanzmodelle für eine realitätsnahe Abbildung dieser Einflüsse ist allerdings aufgrund der geringen Versuchsanzahl nicht möglich. Ein weiterer Nachteil der vorhandenen Experimente ist, dass die Versuche aufgrund von technischen Restriktionen an skalierten Flachdeckensystemen durchgeführt wurden und somit Maßstabseffekte nicht ausreichend berücksichtigen. Eine experimentell abgesicherte, konsistente Erweiterung der bestehenden Durchstanzmodelle um die Einflüsse aus Momentenumlagerung und Membrantragwirkung erfordert daher systematische Durchstanzversuche an Flachdecken mit realitätsnahen Randbedingungen.

Bild 1: Tragverhalten von Flachdeckensystemen: (a) Momentenumlagerungen zwischen Stütz- und Feldmomenten, (b) vereinfachter Flachdeckenausschnitt korrespondierend zum Flachdeckensystem, (c) Prinzip der Druckmembrantragwirkung

Ziel des Forschungsvorhabens ist die grundlegende Untersuchung des Durchstanztragverhaltens von Flachdecken unter Berücksichtigung von Momentenumlagerungen und Membrantragwirkungen. Hierfür ist ein adaptiver Versuchsstand zu entwickeln, der die experimentelle Untersuchung des Durchstanzens von Flachdeckensystemen an einem repräsentativen Flachdeckenausschnitt mit variierenden Randbedingungen ermöglicht. Die Steuerung dieser maßgebenden lastabhängigen Randbedingungen wie Membrandruckkraft und Momentenverteilung soll durch simultan ablaufende Berechnungen auf Basis eines analytischen Modells erfolgen. Die experimentellen Untersuchungen werden durch numerische Untersuchungen begleitet, um die Unterschiede im Durchstanztragverhalten von Flachdeckensystemen im Vergleich zu Flachdeckenausschnitten genauer zu analysieren. Abschließend soll anhand der Ergebnisse ein physikalisch basiertes Durchstanzmodell abgeleitet werden, das eine zutreffende Ermittlung der Durchstanztragfähigkeit von Flachdeckensystemen unter Berücksichtigung der Systemeinflüsse aus Momentenumlagerung und Membrantragwirkung im Bereich von Innenstützen ermöglicht.

Bild 2: Untersuchungsmethodik und Arbeitspakete

Experimentelle Untersuchungen

Der neu entwickelte Versuchsstand (Bild3) wird dazu verwendet vergleichende experimentelle Untersuchungen zum Durchstanztragverhalten von Flachdeckensystemen und Flachdeckenausschnitten durchzuführen. Das geplante Versuchsprogramm umfasst insgesamt neun Versuchskörper in zwei Versuchsserien. Der neue Versuchsstand ermöglicht ein paralleles Aufbringen unabhängiger Randnormalkräfte nSystem und Randmomente mSystem auf Flachdeckenausschnitte. Neben der Trennung der Randeinflüsse ist hierbei insbesondere die Realisierung einer separaten, lastabhängigen Steuerung beider Randeinflüsse von entscheidender Bedeutung. Ein Kern der Arbeit stellt die Entwicklung einer weitestgehend automatisierten Versuchssteuerung dar. Verformungsmessungen am Versuchskörper sollen in Echtzeit in analytische Berechnungen während des Versuchs einfließen. Die berechneten lastabhängigen Randbedingungen sollen dann in den Versuchskörper eingeleitet werden. Somit soll das Verhalten eines Flachdeckensystems anhand des untersuchten Flachdeckenausschnittes abgebildet werden.

 

Bild 3:Entwicklung eines Durchstanzversuchstandes für Flachdecken unter Berücksichtigung von Systemeinflüssen

Numerische Untersuchungen

Parallel zu der Entwicklung des neuartigen Versuchsstandes und den experimentellen Untersuchungen werden numerische Simulationen mit dem nicht-linearen FE-Programm Abaqus durchgeführt, das bereits bei der Nachrechnung von Durchstanzversuchen und in Parameterstudien wesentliche Erkenntnisse lieferte [6]. Anhand diesen Modells werden die Ergebnisse des verwendeten analytischen Modells hinsichtlich ihrer Plausibilität überprüft. Darüber hinaus wird das bestehende numerische Modell anhand der experimentellen Untersuchungen kontinuierlich kalibriert und validiert, um in begleitenden Parameterstudien das sich einstellende Durchstanztragverhalten von Flachdeckensystemen systematisch zu untersuchen. 

Mechanisches Modell

Das übergeordnete Ziel der Untersuchungen ist die Entwicklung eines konsistenten Modells, das die günstigen Einflüsse aus Momentenumlagerung und Membrantragwirkung auf das Durchstanztragverhalten realitätsnah erfasst. Hierfür werden anhand der Ergebnisse der experimentellen und numerischen Untersuchungen zunächst die Haupteinflussfaktoren auf das Durchstanztragverhalten von Flachdeckensystemen ohne Durchstanzbewehrung überprüft und weitere Untersuchungsschwerpunkte identifiziert. Die Ergebnisse werden dann herangezogen, um die bestehenden theoretischen Durchstanzmodelle für Flachdeckensysteme ohne Durchstanzbewehrung [5,7] zur konsistenten Erfassung der Systemeinflüsse zu erweitern.

Dank

Die vorgestellten Untersuchungen werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG (DFG, HE 2637/36-1) gefördert, der an dieser Stelle herzlich gedankt sei.

Bearbeiter

Matthias Kalus, M.Sc.

Literatur

  1. Andrä, H.P.: Zum Tragverhalten des Auflagerbereichs von Flachdecken. Dissertation, Technische Hochschule Stuttgart (1982).
  2. Kueres, D. et al.: Einheitliches Bemessungsmodell gegen Durchstanzen in Flachdecken und Fundamenten. In: Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016), Heft 1, S. 9-19.
  3. DIN EN 1992-1-1:2011-01: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. Deutsche Fassung EN 1992-1-1:2004 + AC:2010. Berlin: Beuth Verlag, Januar 2011.
  4. Ladner, M.; Schaeidt, W.; Gut, S.: Experimentelle Untersuchungen an Stahlbeton-Flachdecken. EMPA, Bericht Nr. 205, Dübendorf, Schweiz (1977).
  5. Kueres, D.: Two-parameter kinematic theory for punching shear in reinforced concrete slabs. Dissertation, RWTH Aachen University (2018).
  6. Kueres, D.; Wieneke, K.; Siburg, C.: Untersuchungen zum Durchstanztragverhalten exzentrisch belasteter Einzelfundamente. In: Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft 9, S. 609-619.
  7. Muttoni, A.: Punching Shear Strength of Reinforced Concrete Slabs without Transverse Reinforcement. In: ACI Structural Journal 105 (2008), Juli-August, S. 440-450.