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M. Sc.Christian Knorrek
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Veranlassung und Zielsetzung
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Anforderungen an Brückenbauwerke im Bestand aufgrund stark gestiegener Verkehrsaufkommen insbesondere durch größere Fahrzeuggesamtgewichte und steigende Achslasten im Güterverkehr deutlich erhöht. Prognosen zeigen, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird. Nach aktuellen Untersuchungen muss deshalb in den nächsten Jahren eine große Anzahl der Brückenbauwerke Deutschlands saniert oder erneuert werden, um die jetzige Funktionalität der Verkehrswege zu erhalten.
Um die Verkehrsbeeinträchtigungen durch Baumaßnahmen möglichst gering zu halten, sind besonders kurze Bauzeiten bei der Herstellung von Ersatzneubauten sinnvoll. Ein zielgerichteter Lösungsansatz ist die Nutzung eines Baukastensystems aus Fertigteilen, um tragfähige Brückenkonstruktionen mit kurzer Bau-/Montagezeit zu realisieren und dadurch die Beeinträchtigungen des Verkehrs durch Sperrung von Straßen und Autobahnen zu minimieren. Am Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen werden deshalb in enger Zusammenarbeit mit einem Industriepartner theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um ein Konzept für ein neuartiges modulares Baukastensystem aus Betonfertigteilen zu entwickeln. Dabei sollen moderne Baustoffe eingesetzt und häufig vorkommende Querschnitte und Spannweiten abgedeckt werden.
In Deutschland ist, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, der Einsatz von Fertigteilen im Brückenbau stark reglementiert und nur im Bereich der Überbauten ohne Zulassung im Einzelfall zulässig. Der Ursprung für diesen konservativen Gebrauch von Fertigteillösungen ist darauf zurückzuführen, dass in der Vergangenheit teilweise negative Erfahrungen bei der Dauerhaftigkeit von älteren Fertigteilbrücken gemacht wurden und vermehrt Schäden aufgetreten sind. Die Straßenbauverwaltungen haben daraufhin den Einsatz von Fertigteilen im Brückenbauwerk stark beschränkt. Diese Regelungen erhielten über einen längeren Zeitraum keinerlei Anpassungen, sodass neuere nationale und internationale Entwicklungen im Fertigteilbau der letzten Jahrzehnte kaum Einzug in den deutschen Brückenbau gehalten haben. Aktuelle Pilotprojekte im Fertigteilbrückenbau und der hohe Sanierungsbedarf führen aktuell aber zu einem Umdenken bei den deutschen Straßenbauverwaltungen, das sich voraussichtlich in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Ein neues Konzept für ein modulares Baukastensystem aus Betonfertigteilen für Brückenbauwerke birgt somit zukünftig ein hohes wirtschaftliches Potenzial.
Das Innovationspotenzial des Projektes liegt vor allem darin, dass neben den Überbauten erstmals auch die Unterbauten von Brücken aus Fertigteilen errichtet werden sollen. In beiden Bereichen sind sowohl Konzepte aus Halbfertigteilen mit nachträglichen Ortbetonergänzungen als auch aus Vollfertigteilen, die miteinander verspannt werden, vorstellbare Lösungsmöglichkeiten und sollen im Rahmen des Projektes untersucht werden. In Abbildung 1 und 2 sind exemplarisch Lösungen für einen Überbau und ein Widerlager aus Vollfertigteilen dargestellt. Einer der Untersuchungsschwerpunkte des Forschungsprojekts ist folglich die Konzeption von vollständigen Fertigteillösungen für den Überbau und die Unterbauten.
Abbildung 1: Schematische Darstellung eines modularen Brückenüberbaus aus Vollfertigteilen
Abbildung 2: Schematische Darstellung eines modularen Widerlagers aus Vollfertigteilen
Eine weitere besondere Herausforderung des Projektes liegt in der Verbindung der einzelnen modularen Fertigteilkomponenten durch kraftschlüssige Fugen. Im Rahmen des Forschungsprojekts sollen dazu weitergehende Untersuchungen zur Fugenausbildung und Fügetechnik zwischen den einzelnen Fertigteilen erfolgen. Hierbei sind der Einsatz von Betonfugen, Pressfugen mit einer Feinmörtelschicht bzw. eines Epoxidharzklebstoffes oder Trockenfugen mit zusätzlicher Vorspannung der Fertigteile mögliche Lösungsverfahren.
Aufbauend auf der Konzeption des Baukastensystems und den möglichen Fugenausbildungen sollen weitere Untersuchungen zum Einsatz von neueren Materialen wie Hochleistungsbetonen oder nichtmetallischen Bewehrungen für die Fertigteile erfolgen. Die Verwendung von Hochleistungsbeton für die Fertigteile ermöglicht im Vergleich zu Normalbeton eine schlankere Konstruktion bei gleicher Tragfähigkeit. Dadurch können zum einen größere Stützweiten realisiert und zum anderen der Transport und die Montage der filigraneren Fertigteile erleichtert werden. Durch die Verwendung von Hochleistungsbeton könnten somit besonders effiziente und qualitativ hochwertige Lösungen realisiert werden, die auch wirtschaftlich von Vorteil sein können.
Ziel des Forschungsprojekts ist, ein vollständiges Konstruktionskonzept für ein neuartiges modulares Baukastensystem aus Betonfertigteilen zu erarbeiten und eine Vorbemessung durchzuführen. Dieses Baukastensystem soll es ermöglichen, einfeldrige und zweifeldrige Brücken mit Stützweiten von 20 m bis 40 m zu realisieren. Die Brücken sollen maximal 4 Fahrstreifen je Fahrtrichtung haben. Damit erstreckt sich das Anwendungsspektrum des Baukastensystems vom Einsatz für den Bau von Stadtbrücken bis hin zu Autobahnbrücken. Durch das Baukastensystem soll es möglich sein, Brücken aus Fertigteilen mit nur geringem Einsatz von Ortbeton und Vergussmörtel herzustellen und so die Zeit für Planung und Errichtung sowie die damit einhergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen erheblich zu verkürzen.
Ergebnisse und Ausblick
Im Rahmen des vorgestellten Forschungsvorhabens am Institut für Massivbau der RWTH Aachen konnte in enger Zusammenarbeit mit der Firma Nesseler Bau GmbH ein neuartiges Konzept einer modularen Baukastenbrücke aus Betonfertigteilen entwickelt werden. Die entwickelte Systembrücke ermöglicht die Realisierung von ein- und zweifeldrigen Brücken mit Spannweiten bis 50 m und kann in unter 100 Kalendertagen errichtet werden.
Hierbei sollte das Baukastensystem nicht als uniforme „Einheitsbrücke“ verstanden werden. Vielmehr wurden für häufig wiederkehrende Elemente und Verbindungen typische Konstruktionsprinzipien erarbeitet, die unter Berücksichtigung der jeweiligen Randbedingungen kombinierbar und auf verschiedene Systeme, Stützweiten und Geometrien übertragbar sind. Die entwickelte Systembrücke ist somit adaptiv anpassbar und bietet hohe volkswirtschaftliche Kostenvorteile.
Im Zuge der Konzeptentwicklung wurden außerdem umfangreiche experimentelle Scherversuche zu verschiedenen Fugenausbildungen zwischen den Fertigteilen durchgeführt. Die höchsten Tragfähigkeiten wiesen dabei Fugen mit profilierten Nassfugen auf. Durch eine ausreichende Verbundfestigkeit, die aufgebrachte Vorspannung und die Ausbildung von Druckstreben senkrecht zu den schräg geneigten Fugenoberflächen der Profilierung weisen diese Versuchskörper ein annähernd monolithisches Bauteilverhalten auf. Die Mörtelschicht sorgt für eine hohe Adhäsionskraft, weshalb ein hoher Widerstand überschritten werden muss, bis eine Schädigung der Fuge eintritt. Aufgrund der aufgebrachten Vorspannkraft konnte zudem der Traganteil der Reibung aktiviert werden. Die Belastung führt schließlich zu einem, durch starke Rissbildung angekündigtem, Versagen des Betons entlang der Druckstreben.
Mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen konnte in weiteren Großversuchen die Fugenkonstruktion der Segmentbrücke hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit und des Herstellprozesses weiter optimiert und eine neuartige Kombination aus Nass- und Trockenfugen entwickelt werden, die einen kraftschlüssigen und wasserdichten Verbund zwischen den Fertigteilen sicherstellt. Zusätzlich wurde eine vollständige statische Bemessung des Gesamtbauwerks angefertigt und ein Verkehrsführungskonzept für die Bauphase entwickelt. Diese optimierte modulare Systembrücke (Abbildung 3) erfüllt somit alle technischen Anforderungen und wurde bereits experimentell erprobt. In der nächsten Phase soll die entwickelte Segmentbrücke unter dem Namen n.Brücke von der Firma Nesseler Bau GmbH in einem Pilotprojekt realisiert werden.
Abbildung 3: Modell der entwickelten einfeldrigen modularen Segmentbrücke aus Betonfertigteilen
Der Abschlussbericht des Forschungsvorhabens kann auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.
Dank
Die vorgestellten und geplanten Untersuchungen werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) im Rahmen eines Forschungsprojektes des Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) gefördert, dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
Förderer: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI)
Bearbeiter: Christian Knorrek, M.Sc.
Literatur
- Knorrek, C.: Bosbach, S.; Hegger J.: Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen, In: Tagungsband Technische Akademie Esslingen, 4. Brückenkolloquium, Esslingen, Deutschland, 2020, S. 107-118.
- Stark, A.; Hegger, J.: Verbundverhalten von CFK-Spannbewehrung in UHPFRC, In: Beton- und Stahlbetonbau (108), 10/2013, S. 701-710.
- Stark, A.; Perse, S.: Hegger, J.: Test on the Transfer Length of CFRP Tendons in UHPC, In: Fehling, E.; Middendorf, B.; Thiemicke, J. (Hrsg.): Proceedings of HiPerMat 2016, 4th International Symposium on Ultra-High Performance Concrete and High Performance Construction Materials, Kassel, März 2016, Kurzfassung S. 129-130.
- Perse, S.; Stark, A.: Will, N.; Hegger, J.: Development of a modular footbridge system with pre-tensioned CFRP reinforcement. In: Proceedings of 39th IABSE Symposium, Vancouver, Kanada, September 2017.
- Perse, S.; Will, N.: Hegger, J.: Pre-design of a modular footbridge system with pre-tensioned CFRP reinforcement. In: Proceedings of Footbridge Conference, Berlin, September 2017.
- Rempel, S.; Kulas, C.: Fußgängerbrücke in Albstadt. Brückenbau im 21. Jahrhundert. In: Beton Bauteile Edition 2017. ISBN: 978-3-7625-3676-5. Bauverlag BV GmbH, Gütersloh. 2016.